Moment Ginza


 

"Moment Ginza im Magasin"
Kunst Bulletin, Zürich, September 1997, p.38

Kuratoren als Künstler, Künstler als Kuratoren: Das Phänomen der Hybridisierung des Kunstbetriebs ist zwar nicht mehr ganz neu, aber immer noch aktuell. Siehe die von der multimedial aktiven Dominique Gonzales-Foerster organisierte Ausstellung in Grenoble: ein typisches Crossover-Produkt unserer Tage.

<Moment Ginza>, das meint für die japanbegeisterte Gonzales-Foerster die besondere Atmosphäre auf einem Tokioter Strassenzug namens Ginza, der sich Sonntagnachmittags zur Fussgängerzone und damit zu einem transitorischen Raum urbaner Freizeit verwandelt. Kaum ein Kunstraum könnte für die Evokation dieses offensichtlich höchst beeindruckenden Geschehens geeigneter sein als die <Rue> des Magasin, eine langgestreckte, per se <verkehrsberuhigte> Ausstellungsstrasse unter riesigem Fabrikhallendach.

Also haben sich die von DOMINIQUE GONZALES- FOERSTER eingeladenen Künstlerfreunde und Kolleginnen fleissig an die Arbeit gemacht: Zebrastreifen gemalt, Plakate und Poster geklebt, Bänke, Getränke- und Spielautomaten aufgestellt, die neueste Kinowerbung der <Star Wars>-Reprise aufgehängt und Computer in Gang gesetzt, die in Erweiterung des Amüsierangebots Zugang zu virtuellen Treffpunkten wie <chat-rooms> geben. Auch an das generelle Ambiente wurde gedacht: ANGELA BULLOCH hat
ihre gelben Leuchtkugeln mitgebracht und von ganz hinten, da, wo die Glühlampengirlanden von FELIX GONZALES-TORRES aufgespannt sind, ertönt atmosphärische Laid Back Music von den <Bourratives> aus Bordeaux. Dennoch: Die bunte Mischung ans Flaniermeile, Internet-Café und Reklameparcours wirkt eher wie eine melancholisch stimmende Bestandsaufnahme weltweit identischer Freizeit- und Erlebniskultur als der <espace potentiel entre le réel et le virtuel>, den der Pressetext verheisst. Ist der <magic moment> in Tokio auch nur wie Flippern in Wuppertal?

Nur wenige Künstler überzeugen mit treffsicheren Subversionen in einer Schau, die allzu affirmativ mit urbanem Design und dem Fun-Faktor operiert. JEAN-LUC VILMOUTH beispielsweise hat Plastiktiermasken in Hülle und Fülle auf einem Wühltisch angehäuft. Die Besucher können sie vor einem bereitgestellten Spiegel ausprobieren: um sich an ihrem tierischen Anblick zu vergnügen - aber auch, um sich so maskiert als <Animal Public> zu entlarven. Und dann ist da noch der bunte Strick, der die Ausstellungsstrasse in ihrer ganzen Länge überquert. Was erst wie eine weitere Freizeitdekoration aussieht, entpuppt sich an seinem Ende als mühsame Handarbeit. In einem Pappkarton liegen noch Strickliesel und Wolle, mit der VIDYA & JEAN-MICHEL ihren Wollwurm Zentimeter für Zentimeter wachsen liessen. Auch diese <Wool Memories> konterkarieren subtil, aber wirkungsvoll den Kult der glatten Freizeitoberflächen.

Und noch eines erreicht Dominique Gonzales-Foersters <proposition> bei aller Ambivalenz: Sie macht neugierig auf eine weder virtuelle noch künstlerisch umspielte, sondern ganz reale Strasse in Tokio, wo das Leben Sonntagnachmittags so ganz anders sein soil. Bis 7.9. Danach in der Fargfabriken, Stockholm.

Ralf Beil