Lawrence Weiner


 

Paul Groot
"Lawrence Weiner"
Wolkenkratzer, Allemagne, marz/april 1989
p. 76-77

 

Lawrence Weiner, 1940 in New York geboren, kam von Bildern, deren Bildaufbau systematisth strukiuriert im Sinne des ,,Systemic Painting" waren, zu Werken, die allein mit dem Medium Sprache operierten. Anfangs waren dies Handlungsanweisungen (z.B. ,,Zwei Minuten lang Farbe aus einer normalen Farbspraydose direkt auf den Boden gesprüht" 1969,), die später dann durch Formulierungen erweitert wurden, die allein gedanklick oder assoziativ nachvollziehbar waren: ,,Langsam gestiegenes Wasser" 1970; ,,Vielleicht wenn rückübersetzt", 1971. Die Form der Präsentation ist dabei nithtfestgelegt. Weiner publizierte die Texte in zahlreichen Büchern, er brachte sie auf Museumswänden und Fassaden an, er fügte sie ein als gesprochene Texte in Filme. In den letzten Jahren experimentierte er mit freieren Formen, die sowohl den Duktus der Handschrift als auch das Element der Farbe einbezogen. Die Bedeutung von Weiners Texten entsteht durch die Assoziationen, die der Leser für sich entdeckt. Paul Groot beschreibt hierfür eine sehr persönliche ,,Lesart".

Unbestreitbar bilden die Texte Lawrence Weiners eine Reihe von Zeichen an der Wand, denen man nicht entgehen kann. Abwechslungsreich in der Form, mit Siebdruckbuchstaben, Matritzen, der Schablone oder auch frei Hand gemalt und geschrieben, füllen die Texte, kurze, fast aphoristisch anmutende Mitteilungen, von Saal zu Saal die Wände im Amsterdamer Stedelijk Museum. Eine Übersicht über mehr als zwanzig Jahre konzeptueller Arbeit des amerikanischen Künstlers, der in New York und Amsterdam wohnt, wenn er nicht gerade als moderne Ausgabe des mitteialterhichen, wandernden Gelehrten unterwegs ist, um irgendwo in der Welt eine Installation einzurichten.
Anfang der 60er Jahre gab Weiner nach einigen Ausstellungen die Malerei auf, um sich völlig dem Wort im Dienste der Kunst zu widmen. Als Protagonist dessen, was in jenen Jahren als konzeptuelle Kunst die Szene der bildenden Künste vollständig umstoBen sollte, hat er sich in den darauffolgenden Jahrzehn ten als komprorniBloser Kommentator der schnellen Entwicklungen in der bilden den Kunst entpuppt. Dies nicht in dem Sinne eines den Entwicklungen hinterherlaufenden Kritikers, der seine Kommentare mittels selner Ausstellungen zum Ausdruck brächte, sondern vielmehr indem er schlichtweg ständig Signale gab von dem, was sich in seinem Denken hinsichtlich der Kunst entwickelte. Dabei schien er in den letzten zehn Jahren immer mehr Opfer semer eigenen, selbstgewählten geistigen Isolierung geworden zu sein. Zumindest muB demjenigen, dem nicht ganz klar war, wie genau Weiner wuBte, was er wollte, sein hartnäckiges Festhalten an semer einmal gewählten Position oft wie eine Form selbstausgeführter Geiselnahme vorgekommen sein.
Doch jetzt, in der etwas unsicheren Zeit des Aufkommens der sogenannten neo-konzeptuellen Kunst wird deuthich, wie persönlich und abseits aller klar erkennbaren Wege Weiners Entwicklung verlaufen ist. Und vor alhem, wie konsistent er geblieben ist, trotz der scheinbar immer wieder abweichenden Pfade, die er eingeschlagen zu haben schien. Dabei muB dann vor allem die beinah grotesk humoristisch-dadaistische Färbung erwähnt werden, die seine Arbeit in den letzten Jahren angenommen hat. Eine an allen Seiten aus zerbrochenen Rahmen und extremen Farbkombinationen zusammengestellte Formenfolge die mittels ausgewählter Worte und Ausdrücke beieinander gehalten wird, sich aber immer am Rande des Chaos zu bewegen scheint.
Die Ausstellung in Amsterdam belegt, daB Lawrence Weiner, was immer er in den vergangenen Jahren auch gewesen sein mag, vor allem er selbst geblieben ist - in seiner offertbar tiefsten Wesensart: der des Vollblut-Romantikers. Denn wie wir seine kurzen Texte auch auslegen, von minimalen sich verschiebenden Einheiten bis hin zu beinahe exakten alchimistischen Rezepturen, immer ist im Hintergrund jener unverkennbar von der Natur und den Naturkräften faszinierte Ton vernehmbar, der die eigene Stimme Weiners genannt werden kann. Im Hintergrund, aber beständig, nimmt man Meeresrauschen in seinen Textanspielungen wahr; die Farben der Sonnenuntergänge spielen eine kontinuierliche Rolle in semer Wortwahl: der beispiellos abwechslungsreiche Charakter des Berglandes findet seinen Widerhall in den beinahe beschwörenden Tönen von Weiners Formulierungen. Dies fällt bei der Präsentation in Holland besonders auf, einem im geographischen Sinne kaum als interessant zu bezeichnenden Gebiet, dem Weiner einige höchst ernüchternde, aber ohne Zweifel wesentliche Texte gewidmet hat.
Der Titel der Ausstellung hieB "WHAT IS SET UPON THE TABLE SITS UPON THE TABLE". Es ist der Titel einer Arbeit, die nicht viel mehr ist als eine hölzerne Konstruktion von Latten, auf die ein an allen Seiten unregelmäBiger Steinbrocken montiert wurde. Man geht leicht daran vorbei, bis man hört, daB es sich um einen Stein handelt, der während einer nächtlichen Expedition in Weiners frühesten künstlerischen Jahren auf der Brooklynbrücke erbeutet wurde. Ein unauffälliger Stein, der jetzt plötzlich etwas von dem Abglanz einer archäologisch fernen Periode aus einer nun schon kunsthistorisch fixierten Biographie erhält.