Gino De Dominicis
Doris von Dratein
"Gino De Dominicis"
Kunstforum, Allemagne, avril/mai 1990
Am Anfang war das Bild" - behauptet Gino De Dominicis und gibt das Wort
ab an die Sinne. Wenn Gedanken Bilder denken, dann können Bilder auch Gedanken
sehen, das ist sein Credo.
Wenn er allerdings das Bud tatsächlich an den Anfang stellt, wird es schwer,
den Gedanken zu finden. In einer furiosen Bilderfreudigkeit macht Gino De Dominicis
seine eigene Person zum Bild, zur unsterblichen körperlichen Ikone: 1969
verschickte er anläBlich semer Ausstellung in der römischen Gallerie
l'Attico eine Sterbeanzeige als Plakat, darauf war zu lesen: "Gino De Dominicis
ist 1947 geboren, existiert aber nicht mehr langer in realer Form, da er nur
ein Werkzeug der Natur ist, die einige angemessene Moglichkeiten in ihm verwirklicht."
Seitdem wandelt er als UnsterbIicher uber den Kunstmarkt. Wiederholte Rückzüge,
das absolute Verbot, ihn selbst oder seine Ausstellungen zu photographieren
(alle Photos, die je abgebildet werden, sind heimlich weitergegebenes Material),
seine Verweigerung, Interviews zu geben, haben ihn zu einem Mythos werden lassen.
In Italien ist er der heimliche Star, auch wenn alle davor zurückschrek-ken,
seine Arbeit tatsächlich als den groBen Beitrag zur Avantgarde auszurufen.
Davon sind seine Bilder, Skulpturen und Installationen denn auch weit entfernt.
Gino De Dominicis bezeichnet sich selbst als einen Nomaden, der durch die Reiche
der Mythen wandert. Einer davon ist eben der Unsterblichkeitsmythos der Sumerer,
die der Künstler deshalb bewundert, weil sie an ihren Gott in einer korperlich
unsterblichen Form glaubten. Unsterblichkeit erst - so hat es sich Gino De Dominicis
zurechtgelegt, bedeutet cigentliche Realität: "ich glaube nicht daran,
daB Dinge existieren. Ein Glas, ein Mensch, eine Henne etwa sind nicht wirklich
ein Glas, ein Mensch oder eine Henne, sondern nur die Verwirklichung von der
Existenzmöglichkeit eines Glases, eines Menschen, einer Henne. Urn tatsächlich
real zu existieren, müssen die Dinge unsterblich, ewig, existieren. Erst
dann wären sie nicht nur die Verwirklichung gewisser Möglichkeiten,
sondern wahrhaftige Dinge" (Zitat aus seinen "Statements", 1966,
Ancona, publiziert im Katalog der Galleria I'Attico, Rom).
Gilgamesch, der mesopotamische König, der sein Leben lang nach dem Kraut
der Unsterblichkeit suchte, ist denn folgerichtig Dominicis wichtigstes Motiv.
Immer wieder taucht die Gestalt in Bild und Titel auf, wird zum Symbol des Unerreichbaren
und des immer wieder neu Aufbrechenden, wie das ganze Werk in Variationszyklen
angelegt ist kaum eine Arbeit in Grenoble war tatsächlich neu. Wie der
Künstler selbst, so sollen auch seine Arbeiten durch ihr Wiederauftauchen
wenigstens einen Hauch von Unsterblichkeit haben, noch dazu, wenn sie sich auf
so unsterbliche Motive beziehen wie auf Piero della Francescas einander zugewandte
Profilportraits der Battista Sforza und Federico da Montefeltro: Dominicis stellt
die indische Göttin Urvasi seinem Gilgamesch, die Schönheit also der
Sterblichkeit, gegenuber(denn Gilgamesch fand nie das Kraut) und schneidet zwischen
ihren Gesichtern eine ägyptische Pyramidenlandschaft aus, beziehungsweise
er akzentuiert das italienische Vorbild und dessen Landschaft, wie er es braucht,
setzt also das Monument der Unsterblichkeit zwischen sein Paar. Während
er hier noch an. kunst- und literaturhistorische Tradition anknupft - Beatrice,
Laura, Euridike und Giulia, alle Frauen der groBen Paare gingen ihren Geliebten
vor aus in das Jenseits -, wagt Dominicis in manchen semer anderen Arbeiten
unmittelbar uber "konkrete Bilder" den Weg in eineVorstellungsweltjenseits
des Todes.
"Die Zeit anhalten",um dann mit der Zeit zu fliegen, ihr voran zu
sein, anstatt ihrem Rhythmus nachzuhetzen, das ist Thema seines Skeletts auf
Rollschuhen mit dem Hundeskeiett am Haisband. Tatsächlich aber in einer
Art Museum für Naturgeschichte wähnt sich. der Besucher spätestens
angesichts des 22 Meter langen. Ske1etts, das in der Langhalle liegt. Mit naiver
Freude evoziert Gino De Dominicis den .visionären Sprung in die Vergangenheit
der Zukunft, wo vielleicht andere Wesen das menschliche Skelett so bestaunen
wie die Schulklassen unserer Zeit die Dinosauriergeruste. So kann's ausgehen,
wennder Körperund nicht der Geist unsterblich ist. Will er das sagen?
Neben diesen Bildern auf der Suche des unerreichbaren Gedankens sind frühere
konzeptuelle Arbeiten wie die der Installation von der Biennale 1972 - der Bali,
der Stuhi, der Stein, der unsichtbare Kubus - nachgerade geistvoll, zumal dank
solcher Titel wie "Gummi-Bali (von einem Fall von zwei Metern) an dem Punkt
vor dem Wiederaufspringen" oder - für den Granit-brocken - "Auf
eine generelle Molekülverschiebung in eine Richtung wartend, um dann eine
spontane Bewegung des Felsens zu vollführen"; wenn der Stuhl dann
"Unsichtbare Person" heiBt, istdas inzwischen beinah selbstverständlich;
das auf den Boden gezeichnete Quadrat für den unsichtbaren Kubus schlieBt
these Kette innerer Bilder - eine zentrale Arbeit, immer wieder gezeigt, die
dem unsterbiichen Meister tödlich widerspricht: Denn these Bilder entstehen
erst durch das Wort, sind durch das Wort geschaffen, und deshalb überhaupt
haben she die Qualität, die sic haben.
Die Ausstellung ist die erste groBe Werkschau. Und es ist die erste groBe Schau,
die Adelina v. Fürstenberg als neue Direktorin des "Magasin"
in Grenoble ausgerichtet hat - eine mutige Absage an die "coole" Einseitigkeit
der ietzten Kunstmarkte, eine Absage auch an anerkannte Kriterien. Statt dessen
ein gewaltiger Totentanz, ein Mythenreigen, der sich im Museum für Natural
History selbst begräbt. Die Formenvariabilität von Gino De Dominicis
trumpft zwar uf mit einer wilden Rhapsodie von Bildern, aber gleichzeitig bleibt
es ein vergebliches Unterfangen, nach dem Gedanken zu suchen, den - wie versprochen
- these Bilder sehen.